Herr Ellinger beschließt zu sterben

von Liane Pircher · Fotos: Rita Falk

Seit rund 2,5 Jahren erlaubt das Gesetz den assistierten Suizid durch ein Mittel aus der Apotheke. Der Weg dorthin ist streng reglementiert. Warum der pensionierte und schwerst kranke Pfarrer Ernst Ellinger ganz bewusst eine Sterbehilfe wollte, hat er der TT vor seinem Tod erzählt.

Draußen ist es ein sonnig warmer Nachmittag, drinnen sitzt Ernst Ellinger in seinem Rollstuhl. Er kann die Haustüre selbst nicht öffnen. In der Kufsteiner Wohnung ist gerade Übergabe von der 24-Stunden-Betreuung. Das heißt, Journalistin und Fotografin müssen sich etwas gedulden. Der 87-Jährige freut sich wenig später sichtlich über den Besuch. Er tut sich schwer, einen mit der Hand zu begrüßen, tut es aber und erklärt, er sei bereit für das Interview. Wir vereinbaren, dass er das Gespräch beenden kann, sollte es ihm zu viel oder zu anstrengend werden.

Ernst Ellinger nahm jenes Prozedere in Anspruch, das seit 2022 im Sterbeverfügungsgesetz erlaubt ist. Er sagte dazu: „Wie ich mich fühle, weiß nur ich. Und wenn es nicht mehr geht, warum soll ich den Tod hinauszögern?“ 

Mut - Zeit seines Lebens hat sich der Priester um Wahrheit bemüht. Mit dieser Haltung wollte er auch sterben.

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Herr Ellinger, wie geht es Ihnen?

Ernst Ellinger: Im Grunde genommen sehr schlecht. Mein ganzes Leben war es mir wichtig, unter Leuten zu sein, meine Arbeit als Priester gut zu machen. Jetzt kann ich ohne fremde Hilfe nicht einmal mehr gute Bewegungen machen. Ich bin komplett auf andere angewiesen. Was es heißt, schwerst krank zu sein, kann man sich als Außenstehender nicht vorstellen. Das weiß man erst, wenn man selbst betroffen und in dieser Situation ist. Unheilbar krank zu sein, ist für mich persönlich ein schweres Leid. Die Tage werden endlos lang, man bringt sie nur mehr irgendwie herum. Und wartet auf das Sterben. An dieser Lage können auch andere Menschen nichts ändern. Ich habe Verwandte, die mich besuchen und sich um mich kümmern. Das sind liebe Leute. An meiner Situation können aber auch sie nichts ändern. Niemand kann es. Ich würde gerne noch länger leben, aber nicht in so einem Zustand. Seitdem ich weiß, dass mir geholfen wird, sterben zu dürfen, geht es mir besser. Ich bin dankbar, dass ich dabei gut begleitet werde.

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„Was es heißt, zu leiden, versteht nur, wer davon betroffen ist.“

Ernst Ellinger

Belesen und ein Menschenfreund war der Priester – zuletzt konnte er das nicht mehr leben.

„Was es heißt, zu leiden, versteht nur, wer davon betroffen ist.“

Ernst Ellinger

Belesen und ein Menschenfreund war der Priester – zuletzt konnte er das nicht mehr leben.

Medizinisch gesehen ist der 87-Jährige multimorbid. Sein Gesundheitszustand hat sich durch einen Schlaganfall vor einem Jahr verschlechtert. Schlafen kann er nur mit Medikamenten. Früher war der geweihte Priester viel unterwegs. Die Menschen erlebten den gebürtigen Kirchbichler als Seelsorger in Kliniken und Pfarrgemeinden in mehreren Bundesländern. Er galt als progressiv denkender  Priester, der sich als Teil der Pfarrer-Initiative u. a. für die Abschaffung des Zölibats einsetzte. Er war auch einer, der leidenschaftlich gerne predigte. Vor etwas mehr als zehn Jahren rückte er als „kleiner Landpfarrer“ sogar kurz ins Rampenlicht der Öffentlichkeit, weil er in einer Predigt gegen die FPÖ wetterte. Er wurde deshalb versetzt. Seit 2008 ist er in Pension. Bevor er krank wurde, ist er immer wieder in verschiedenen Pfarren als Aushilfe eingesprungen, wenn ein Pfarrer krank war oder gerade auf Kur. 

Können Sie einem Außenstehenden erklären, was letztendlich für Sie entscheidend  war, dass Sie Ihren letzten Weg mittels Sterbehilfe gehen?

Das war ein langer Prozess. Ein Wendepunkt war sicherlich, als meine Wirtschafterin starb. Sie hatte Krebs, ich hatte sie noch vier Monate lang gepflegt. Es sind viele Menschen aus meinem Umfeld gestorben, die ich gerne mochte. Jetzt brauche ich eine 24-Stunden-Betreuung und bin sterbenskrank. Ich habe es satt. Dieser Weg ist der einzige, bei dem ich nicht jahrelang dahinsiechen muss. Für mich hat es viel mit Würde und Freiheit zu tun, selbst entscheiden zu dürfen, wann genug einfach genug ist. Ich weiß am besten, was für mich gut ist. Und ich bin des Lebens – unter diesen Umständen – überdrüssig. Muss ich jetzt bis zum bitteren Ende ausharren, nur weil es andere aus ideologischen Gründen gerne so hätten?

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„Ideologien und Besserwisserei dürfen nicht dazu führen, dass
Menschen nicht frei
entscheiden können, wann genug genug ist.“

Ernst Ellinger

Sie sind Priester. Und als Geistlicher wissen Sie, wie die Kirche zum assistierten Suizid steht. Demnach müssten Sie akzeptieren, dass der Anfang und das Ende des Lebens der Verfügung des Menschen entzogen wird. Wie gehen Sie damit um?

Für mich ist diese Entscheidung kein Widerspruch zu Gott. Wie die Kirche dazu steht, ist für mich sekundär. Entscheidend ist für mich das Evangelium, die Person Christi. Ich folge meinem Gewissen. Mit Gott habe ich mir das ausgemacht. Hier hat auch der hl. Antonius für mich eine bedeutende Rolle gespielt. Er steht für das Finden. Auch für das seelische. Natürlich war es ein langes Hin und Her. Es war schwer. Jetzt bin ich mit meinem Gewissen aber im Reinen.

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„Ideologien und Besserwisserei dürfen nicht dazu führen, dass
Menschen nicht frei
entscheiden können, wann genug genug ist.“

Ernst Ellinger

Warum ist eine palliative Versorgung im Sinne des Hospiz-Gedankens für Sie keine Option?

Das ist deshalb keine Option, weil ich menschlich gesehen nicht mehr am gesellschaftlichen Leben so teilnehmen kann, wie ich es möchte. Ich bin schwerst krank und kann ohne fremde Hilfe nicht meine Wohnung verlassen. Mein Tagesinhalt ist, darauf zu warten, zu sterben. Mein Leben spielt sich zwischen Ärzten, Klinik und Wohnung ab. Dieser Zustand könnte länger andauern, weil ich noch Lebenssaft habe. So will ich aber nicht leben müssen. Und das möchte ich selber entscheiden dürfen.

Jesu Christi - Die Wandtafel der Auferstehung soll das Urnengrab schmücken.

Sie haben nicht den geringsten Zweifel, das Präparat einzunehmen, wenn es da ist?

Nein, ich habe nicht den geringsten Zweifel. Solange ich es noch kann, werde ich den Becher in die Hand nehmen und das Mittel trinken. Ich bin dankbar, dass ich in diesem Moment nicht alleine sein werde. Glauben Sie mir, ich habe meine himmlischen Leute schon längst eingeladen, mich zu holen, damit ich sterben darf. Leider ist es nicht so gekommen. Jetzt geht es eben anders.

Wen haben Sie in Ihren Sterbenswunsch eingeweiht?

Meine engste Familie, das ist meine Schwester und sind meine Neffen. Ich hatte zuerst Angst davor, es ihnen zu sagen. Ich bin froh, dass Sie meinen Wunsch akzeptieren können.

Haben Sie Ihr Begräbnis vorbereitet?

Ja, alles. Meine Parte, meine Urne. Ich bin vorbereitet. Ich gehe in Frieden.

 

 

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Ausführlich hat Ernst Ellinger vor seinem Tod erzählt, warum er seinen letzten Weg so gehen wollte.

„Es geht um Würde.
Es geht um Freiheit.
Ich gehe in Frieden.“

Ernst Ellinger

Seit Anfang 2022 können Schwerstkranke in Österreich den Weg zum assistierten Suizid gehen. Voraussetzung ist die Begutachtung durch zwei ÄrztInnen, von denen einer über eine palliativmedizinische Ausbildung verfügt. Dazu muss ein Notar oder eine rechtskundige Person die so genannte Sterbeverfügung erstellen. Diese berechtigt dann, das dafür notwendige Präparat in der Apotheke zu holen. Den letzten Akt muss dann der oder die sterbewillige Person selbst machen, also das Mittel trinken oder die Infusion in Gang setzen. Seit 2022 wurden 481 Sterbeverfügungen errichtet und in das bundesweite Register eingetragen. 367 Menschen haben das Präparat bezogen, zumindest 183 haben es auch eingenommen. Die Sterbeverfügung gilt immer nur für ein Jahr und muss danach erneuert werden.

Sterbewillige nicht alleine lassen

Derzeit umstritten ist, ob die Hürden zu hoch sind – das kritisieren zumindest Befürworter der Sterbehilfe wie die Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL). Diese hält die Regeln für „unzumutbar“. Eine diesbezüglich offene Entscheidung liegt noch beim Verfassungsgerichtshof (VfGH), bereits 2020 hob dieser das absolute Verbot der Beihilfe zum Selbstmord als Verstoß gegen das Recht des Einzelnen auf freie Selbstbestimmung auf. In Tirol führt die Ärztekammer derzeit 15 ÄrztInnen in einer Liste, die sich für eine Beratung/Begleitung bereit erklären. Eine davon ist die Innsbrucker Palliativmedizinerin und Medizinethikerin Christine Kanaider. Sie ist seit Kurzem auch Geschäftsführerin vom ÖGHL und vertritt die Meinung, dass man schwerst kranke Menschen bei diesem Wunsch gut beraten und nicht alleine lassen dürfe.

Das Gesetz und die Sterbeverfügung

Ernst Ellinger ist am Donnerstag, den 7. November, gemäß seinem Wunsch verstorben.

Sie sind in einer Krisensituation, denken an Suizid oder machen sich um jemanden Sorgen? Bei der Telefonseelsorge (Tel. 142), Rat auf Draht (147), dem Psychosozialen Krisendienst (0800400120), Kriseninterventionsdienst des Roten Kreuzes (144) und weiteren Einrichtungen erhalten Sie Hilfe.


Sterbebegleitung soll nicht länger tabu sein:

Palliativmedizinerin Christina Kanaider hat Ernst Ellinger auf seinen Wunsch hin bis zuletzt begleitet.

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